Bunkertrial des Trialkollektiv Berlin, D. 22.2.2014
Klassik-Trial 2.0
Mit der Bezeichnung „Web 2.0“ beschreibt man eine Reihe von Elementen des Internets in denen die Anwender die Inhalte selbst ändern und gestalten. Mittlerweile wird dieser Begriff meist durch „Social Media“ ersetzt. Der Begriff „Web 2.0“ wird als Synonym für vernetzte Weiterentwicklung in einzelnen Bereichen übertragen. In diesem Sinne soll hier von „Klassik-Trial 2.0“ berichtet werden. Das Trialkollektiv Berlin, allen voran Adrian Lasch und Robby Rettig luden zum „Bunkertrial“. Aus mehrerlei Hinsicht interessierte mich diese Veranstaltung.
Nach Westen in den Osten
Berlin liegt von meiner österreichischen Heimat weniger weit entfernt, als die italienischen Bewerbe, an denen ich gerne teilnehme. Aber gefühlt wirkt diese Distanz viel weiter. Ich war überrascht, dass es sich dabei um „nur“ 750 km handelt. Das mag wohl mit der Vergangenheit der Stadt zusammen hängen. Einer Geschichte, die vor 25 Jahren mit dem Fall der Mauer in Deutschland endete. Erstmals bemerke ich an mir, dass diese Mauer auch in meinem Kopf noch immer als schwer überwindbar abgelegt ist. Obwohl ich persönlich nie davon betroffen war und weder Freunde oder Verwandte hüben wie drüben hatte. Dabei zeigt ein Blick auf die Landkarte sogar, dass Wien tiefer im geografischen Osten liegt als die Deutsche Bundeshauptstadt.
Kilometerfressen 2.0
Eine Anreise nach Berlin per Auto und mit eigenem Motorrad für ein Eintages-Trial, das auf die Fläche eines Clubgeländes beschränkt ist, hätte aber auch mich abgeschreckt. Eine so laxe
Eisntellung kann Adrian Lasch aber nicht erschüttern. Er machten sich den Umstand zu Nutze, dass ich im Oktober des Vorjahres das letzte Mal mit meinem eigenen Motorrad fuhr. Also war es beinahe
egal, ob ich mich nun an mein eigenes oder an ein anderes Motorrad einfahren müsste. Adrian stellte mir ein Leihmotorrad zu Verfügung. Zu meiner größten Freude bot er mir seine historische „Euro“
aus der Schmiede des bekannten sächsischen Klassik-Trialers Günter Ruttloff aus dem Jahr 1980 an. Ich war zuvor noch nie in Berlin und kenne nicht die örtlichen Gegebenheiten. So startete ich
meine Planungen gleich mit einem Irrtum. Der Bunker Ladenburg, in dessen Arial sich das Gelände des Trialkollektivs befindet, liegt eine gute Auto-Stunde nördlich des Zentrums von Berlin.
Am Weg dahin liegt der Wannsee, der einem Liedtext folgend auch eine Reise mit eingepackter Badehose und in Begleitung des kleinen Schwesterleins wert ist. Adrian Lasch organisierte für mich den
Transfer vom und zum Flughafen. So musste ich nur noch zeitlich genug einen Flug von Wien nach Berlin und retour um € 129,- buchen. Alleine die Spritkosten für das Auto wären im Vergleich höher
gewesen. Von der zeitlichen Ersparnis und der angenehmeren Reise ganz zu schweigen. So war am Sonntag Nachmittag zu Hause sogar noch ein Vortragsbesuch bequem und entspannt möglich.
Organisation 2.0
Das Trialkollektiv hatte Vorbereitungen getroffen, die weit über die Veranstaltung selbst hinaus führten. Vom Hotel, in dem die Zimmer gebucht waren und am Samstag Abend ein gemeinsames
Abendessen vorbereitet war, stand am Samstag ein Schuttledienst bereit. Er brachte die Teilnehmer vom Hotel an den etwas entfernt gelegenen Bunker. Mittags versorgte die Hotelküche per Catering
die Teilnehmer mit einem köstlichen Mittagessen vor Ort am Bunker. Für Hotelgäste war das Essen im Zimmerpreis inkludiert, für die anderen Gäste wurde ein geringer Unkostenbeitrag verrechnet.
Jeder Teilnehmer erhielt zum Abschluß ein Andenken. Nach dem gemeinsamen Abendessen gab es noch einen interessanten Vortrag über eine Himalajareise.
Bunker 2.0
Der Bewerb selbst begann am Samstag um 11.00 Uhr Vormittag. Den Abzweiger von der Straße zum Bunker fanden nur Eingeweihte und war auch nicht weiter beschrieben. Wer diese Hürde überwinden
konnte, fand sich kurz später vor einem massiven und versperrten Tor wieder. Um die Zufahrt zu ermöglichen, war ein eigener Torwächter eingeteilt. Was anfangs befremdlich wirkte, wurde erst viel
später unter Kenntnis der Hintergründe nachvollziehbar.
Bei der Zufahrt zum Bunker erzählte mir mein „Chauffeur“ Michael ein wenig über die Bunkeranlagen hier in der Umgebung. Solange wir auf der Bundesstraße unterwegs waren, konnte ich nichts
Besonderes bemerken. Die Straße führte durch scheinbar unberührtes Waldgebiet. Die Landschaft war eben, kleine Hügel mit einer Höhe von einigen Metern durchzogen die Landschaft. Wir fuhren jedoch
durch ehemaliges militärisches Sperrgebiet. Viele dieser Hügeln waren Bunkeranlagen beziehungsweise gepanzerte und getarnte Lagerhallen bzw. Baracken, in denen Soldaten unter widrigsten
Umständen untergebracht waren. Auch das Clubhaus des Trialkollektivs ist ein unterirdischer und schwer gepanzerter Lagerraum. Es ist einer von mehreren Bunkern, die im direkten Umkreis angelegt
wurden. Ich wollte mir gar nicht erst merken, für welche Stadt die Raketen bestimmt waren, die in diesen Bunkern lagerten. Es war durchaus beklemmend, als ich die massive Bauweise des Bunkers
inspizierte und mir überlegte, auf welchen Wahnsinn sich die Leute damals vorbereiten wollten.
Das Trialkollektiv nutzte die vorhandene, da glücklicherweise militärisch überflüssige Infrastruktur für ihre Zwecke. Ihnen steht nun wohl das sicherste Clubhaus der Welt zur Verfügung stehen.
Massiver Beton schützt die Motorräder gegen Wind und Wetter aber auch vor langen Fingern und allzu neugierigen Nasen. Das Trialgelände befindet sich großteils in der Ebene. Einige Erdwälle
sowie Böschungen unter denen sich die Bunker befinden bieten Platz für Hangsektionen oder Böschungsauf- und Abfahrten. Die Sektionen waren mit gutem Sinn für Klassik-Trial gesteckt. Adrian Lasch
und das Trialkollektiv stellten jedenfalls unter Beweis, dass man auch in wenig anspruchvollem Gelände ein unterhaltsames Trial stecken kann. Dazu muß man nicht von einem Lenkeranschlag zum
nächsten kurven. Die anspruchsvollste, gelbe Spur war nicht 100%ig auf PRE65 ausgelegt, aber wie die Teilnehmer eindrucksvoll unter Beweis stellten, auch mit diesen alten Eisen noch gut
bewältigbar. Auch wenn das Motorschutzblech seinen Funktionalität gelegentlich unter Beweis stellen musste, waren alle Sektionen frei von unnötigen Gefahrenstellen und unsinnigen Kurssetzungen.
Der Samstag zeigte sich von seiner schönsten Sonnenseite. Obwohl der Kurs für Schlechtwetter ausgelegt war, sorgte der vorabendliche Regen dafür, dass dennoch ausreichend Füße gesetzt
wurden.
Reichtum 2.0
Das Veranstaltungskonzept sorgte dafür, dass alle Teilnehmer wahrlich erleichtert den Weg nach Hause antreten konnten. Die Teilnehmer waren nicht nur passive Konsumenten einer Veranstaltung.
Teilnahmeberechtigt war nur, wer sich interaktiv an der Gestaltung von Sektionen beteiligte. So musste jeder Teilnehmer zumindest einen Stein in „Kindskopfgröße“ mitbringen, mit dem die
Geröllsektion ausgebaut wurde. Am Ende des Tages konnte sich das Trialkollektiv wahrlich als „steinreich“ bezeichnen.
Gruppen-Trial 2.0
Wenige Tage vor dem Trial verkündete Adrian Lasch das „Closing“ (=Ende) für die Voranmeldungen. Insgesamt vierundzwanzig Klassik-Trialer standen bei der Fahrerbesprechung beisammen. „Wir haben
mit fünf Fahrern begonnen“, meinte Adrian Lasch, „und wachsen seither ständig. Zwar langsam, aber die Leute, die hier sind, passen prima zu uns. Würde ich den Bewerb auch für Moderne freigeben,
hätten wir wesentlich mehr Teilnehmer. Aber das will ich gar nicht. Es soll ein Klassik-Trial sein und bleiben. Der Spassfaktor ist uns wichtiger als die Teilnehmerzahlen.“ Gefahren wurden in
Gruppen. Die Fahrer werteten sich gegenseitig selbst. Die Zusammenstellung der Gruppen war Chefsache. Da die meisten Sektionen auch von Adrian Lasch selbst vorbereitet waren, wusste er genau,
dass alle Sektionen für alle Spuren geeignet waren. Daher waren die Teilnehmer in den Gruppen bunt nach Spuren, Motorrädern und Leistungsstärke der Fahrer gemischt.
Dass die Einteilung der Gruppen keine lasche Sache war, zeigte alleine schon die Besetzung jener Gruppe, in der ich mich befand. (Anmerkung: Wie den aktuellen Nachrichten zu entnehmen ist, werden in den Berichten der großen Konzerne die zum Schutz von Einzelpersonen Ihre Namen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Diese Technik will ich hier auch anwenden.)
Like ist ein Profischrauber. Mit unendlicher Mühe und Ausdauer hat er einen Suzuki-Dampfhammer trialtauglich getrimmt und schwebte nun am Bunker mit dem sonoren Sound seiner Suzi durch die mittlere Spur der Sektionen. Als Motorrad-Einzelteil-Hoflieferant des Trialkollektivs durfte er auch gleich den Schreibstift des Schriftführers der Gruppe schwingen. Like hatte auch immer ein wachsames Auge auf Mothar. Mothar war mit über siebzig Jahren der Senior der Gruppe. Sein Fahrstil wirkt gelegentlich ähnlich archaisch wie seine CZ. Ging das Temperament des alten Schlachtrosses einmal durch, neutralisiert Mothar die frei werdenden Energien historisch korrekt, indem er die Sektion sitzend zu Ende fuhr. Der Motorradszene ist Mothar als fleissiger Berichtschreiber bekannt. Immer wieder verweist er in Fachzeitschriften auch auf interessante Bücher über alte Eisen. Mothar hat immer einen vollen Terminkalender. Alleine an diesem Samstag, hätte er drei weitere Veranstaltungen besuchen sollen. Doch es gefiel ihm im Bunker, er blieb bis zum Abendessen beim Trialkollektiv. Lalf war der schweigsame Nordmann. Seine 200ccm Zweizylinder Honda schnurrte durch die Sektionen, wie eine hungrige Katze, die um Ihr Leckerli bettelt. Hohes Gewicht und wenig Hubraum sind die idealen Voraussetzungen für jemanden wie Lalf um in der schweren Spur zu brillieren, auch wenn die Motorschutzplatte immer wieder ihren Namen alle Ehre machen musste. Lommy und Lefan teilten sich eine Bultaco. Sie hatten sichtbar Probleme in der schweren Spur mit dem blauen Ungetüm. Doch zu Ihrem Glück lief die Bulto an diesem Tag nicht korrekt. Auf Ihren moderneren Ersatzmopeds konnten sie zeigen was sie drauf hatten. Aber dennoch wurde rasch klar: die eine oder andere Stunde konsequentes Klassik-Training bringt auch den besten Wheelyvirtuosen weiter. Mit der Anwesenheit von Lalfred war es vorbei mit ruhigem Trialen. Der quasselte mehr, als die Spree bei Pegelhöchststand Wasser führte. An einer kniffligen Auffahrt standen alle Gruppenmitglieder beisammen und überlegten die beste Spur. Lalfred ging lässig durch die Passage und meinte nur kurz: „Kein Problem! Vorderrad hier, hier und hier! Blickführung von hier nach da und von dort nach drüben….“. Lafred ist Österreicher. Also ging er zum höchsten Punkt der Sektion und sprach mit erhobenen Zeigefinger und mahnender Stimme auf die Übrigen herab: „Aber bedenkt, es war schon einmal ein Österreicher hier, der meinte den Deutschen den richten Weg weisen zu können!“ Diesmal passte aber die Richtung.
Improvisationstalent
Von einer Klassik-Trial-Veranstaltung in Berlin versprach ich mir viele neue Kontakte aus dem Norden und Osten Deutschlands. Ich freute mich vor allem auf die unzählige Anekdoten und Geschichten
aus der Geschichte des ehemaligen DDR-Trials. Während die Kollegen anderer sozialistischen Länder, sogar jene aus Russland bereits Zugriff auf Trialmotorräder von Bultaco und Montesa hatten,
konnten die DDR-Trialer nur mit Eigenbauten dagegen halten. Mit Hilfe eines großen Netzwerkes konnte Günter Ruttloff die Euro-Motorräder aufbauen. Der eine konnte hochwertige Rohre besorgen, der
andere konnte Alublech für Kotflügel ziehen usw. Ein Wartburg Lenk-Getriebe wurde zu einem Reifenmontier-Werkzeug umfunktioniert. Handwerkliches Geschick und Kreativität kompensierten staatliche
Mangelwirtschaft.
Klassiktrial 2.0
Das Bunkertrial findet auf einem überschaubaren Clubgelände statt und ist nicht vergleichbar mit einem großen Rundkurs in den Ardennen oder in den italienischen Alpen. Wer hier meisterschaftliche
Prinzipien sucht, wird enttäuscht werden. Umso beachtlicher finde ich, dass ich über eine derart überschaubare Veranstaltung soviel zu berichten habe. Dabei reduziere ich mich schon auf das
Bemerkenswerteste. Das Bunkertrial des Trialkollektivs Berlin versprüht jenen Charme, den ich mir als Ideal eines Klassik-Trials erwarte. Eine Veranstaltung, bei der die Lagerfeuerromantik
wichtiger ist, als die Teilnehmerzahl. Umso unglaublicher, nein, empörender finde ich, wenn ich höre, dass Funktionäre in selbsternannt übergeordneter Funktion, mit zentralistischen und
pseudobehördlichen Auflagen versuchen, Prügel vor die Füße von Veranstaltern wie dem Trialkollektiv werfen. Zum Glück wissen die Leute aus dem Osten mit Zwangsregulierungsversuchen umzugehen:
Handwerkliches Geschick und Kreativität! Das Trialkollektiv Berlin zelebriert Klassik-Trial, wie es sein soll. Das geländemäßige Manko wird durch das Flair mehr als wett gemacht. Von mir erhält
das Bunkertrial mit 10 von 10 möglichen Punkten die Höchstwertung!
Fotosgallerien:
Alfred, März 2014